THEORIE: Für diejenigen von euch, die Frédérick Leboyer noch nicht kennen, möchte ich seinen achtsamen Blick auf die Geburt eines Menschen mit euch teilen. Frédérick Leboyer war lange als Gynäkologe und Geburtshelfer tätig. Er hatte innerhalb seiner Arbeit zahlreiche Geburten mit erlebt und war sehr betroffen von dem meist gewaltsamen, abrupten Start in das Leben dieser Babys. Aufgrund seiner Beobachtungen forderte er dazu auf das Baby unter der Geburt in den Mittelpunkt zu stellen und ihm zu ermöglichen, sanft, liebevoll und ohne unnötigen Stress auf die Welt zu kommen. Sein Buch “Geburt ohne Gewalt” hat vieles in der Geburtshilfe bewegt. Zahlreiche Kliniken haben aufgrund seines Ansatzes die Art und Weise, wie die Geburt gestaltet und begleitet wird, verändert. Frédérick Leboyer prägte den Begriff der “sanften Geburt” maßgeblich, welche vor allem diese Aspekte unter der Geburt mit einbezieht:
– Das Baby sollte sanft (ohne Gewalt) geholt werden, das Licht im Kreissaal möglichst gedimmt sein, die Temperatur im Raum warm, die Anwesenden sollten nicht laut reden und die visuellen Reize so gering wie möglich gehalten werden (z.B. warme Farben in dem Geburtsraum oder das Baby in ein rotes Handtuch wickeln, was ein vertrauter Farbton für es ist), damit dem Baby ein sanfter Übergang zwischen dem Leben im Mutterleib und dem Leben in dieser Welt ermöglicht wird
– Das Baby wird unmittelbar nach der Geburt der Mutter auf den Bauch gelegt (glücklicherweise in den meisten Kliniken heutzutage Standard, wenn es medizinisch möglich ist), dies fördert den Bindungsaufbau zwischen Mutter und Kind, schenkt dem Baby Wärme und gibt ihm die Möglichkeit die Mutter zum ersten Mal zu riechen, zu fühlen und außerhalb des Bauchs zu hören
– Die Nabelschnur soll möglichst “auspulsieren”, dh. dass man sie nicht direkt nach der Geburt zertrennt, sondern dem Baby die Möglichkeit gibt, sich allmählich an die neuen Gegebenheiten anzupassen und mit der Atmung zu beginnen, ohne dass es durch das Zertrennen der Nabelschnur quasi dazu gezwungen wird
– Das Baby sollte unmittelbar nach der Geburt soviel Hautkontakt wie möglich zu der Mutter (bzw. den Eltern) haben und möglichst bald nach der Geburt zum ersten Mal von der Mutter gestillt werden (die Hebammen weisen heutzutage ebenfalls daraufhin, dass die Prolaktinrezeptoren, welche für die Milchbildung zuständig sind, sich nach der Geburt immer weiter zurückbilden, wenn das Baby erst nach ein paar Stunden angelegt wird!)

Neben den wunderbaren, achtsamen Aspekten, die Frédérick Leboyer in die Geburtshilfe eingebracht hat, hat er die Babymassage (von Indien) in den Westen gebracht. Diese ist nach der Geburt (bis weit ins zweite Lebensjahr oder noch länger) eine wunderbare Methode, um die Bindung zwischen dem Baby und den Eltern zu fördern, Koliken vorzubeugen, die Durchblutung der Haut zu fördern und dem Baby ein gutes Körpergefühl zu schenken.

PRAXIS: Natürlich ist die oben erläuterte “sanfte Geburt” nicht immer möglich. Oftmals ist es medizinisch erforderlich das Baby “abrupt” und ohne einen sanften Übergang zu holen. Aber selbst im Falle eines ungeplanten Kaiserschnittes, selbst bei der Geburt von Frühchen
hat Frédérick Leboyer durch seinen Ansatz auf den Weg gebracht, dass das Baby der Mutter baldmöglichst auf den Bauch gelegt wird, da mittlerweile klar ist: gerade Babys, die einen schwierigen Start ins Leben haben profitieren gesundheitlich und psychisch sehr von der Nähe zu ihren Mütter bzw. ihren Eltern.
Sollte man aus medizinischer Sicht die Möglichkeit einer natürlichen Geburt haben, sollte man sich vor der Geburt meiner Meinung nach sehr bewusst damit auseinandersetzen, wie der Übergang in dieses Leben für das Baby möglichst sanft gestaltet werden kann. Es ist sinnvoll sich vorab zu erkundigen, nach welchem Ansatz /nach welchen Prinzipien das Geburtshaus oder das Krankenhaus arbeitet. Haben die dort Beschäftigten einen besonderen Blick auf die Bindungsförderung, auf das Stillen, etc.? Was ist mir selbst und meinem Partner unter der Geburt wichtig?
Mein Mann und ich hatten uns vorab sehr intensiv mit dem zukünftigen Geburtsort unserer Tochter beschäftigt. Eine möglichst friedvolle, sanfte Geburt war uns sehr wichtig, weshalb die Wahl auf ein Geburtshaus fiel, welches sehr bindungsfördernd und nach den oben genannten Aspekten von Leboyer arbeitet. Für all diejenigen, denen die Geburt noch bevor steht möchte ich Mut machen: Eine Geburt KANN ein wunderbares, intensives und friedvolles Erlebnis sein! Trotz der starken Schmerzen ist es möglich, eine sanfte Geburt für sich selbst und das Baby zu erleben. Es ist eine unbeschreibliche, wundervolle Erfahrung, wenn man in dieser so sensiblen Zeit, unmittelbar nach der Geburt, erst einmal als Familie in Ruhe gelassen wird. Einfach nur miteinander zu SEIN, Zeit zu haben, sich gegenseitig kennenzulernen, zum ersten Mal zu fühlen, zu hören, zu riechen… Diese einmalige Erfahrung und diese so friedliche Atmosphäre direkt nach den Schmerzen unter der Geburt erleben zu können wünsche ich wirklich jedem.
Müsste ich die Geburt selbst mit nur einem Wort beschreiben, so wäre es: “LOSLASSEN”.
LOSLASSEN von…Erwartungen, Vorstellungen, Bildern etc. wie die Geburt ablaufen würde
LOSLASSEN von…der Kontrolle über den eigenen Körper. Stattdessen ZULASSEN, was geschieht und darüber staunen, welche Urkraft in einem Selbst entspringt
LOSLASSEN von…den Ängsten, Hoffnungen, Erwartungen, wie das Baby aussehen wird,…wie es sein wird, es zum ersten Mal im Arm zu halten. Egal wie sehr man vorab darüber phantasiert und nachdenkt, wie dieser Moment sein wird: nichts kann einen auf das vorbereiten, was man spürt, wenn man sein eigenes Baby zum ersten Mal sieht und es fühlt!