THEORIE: Wenn man sich Gedanken über das Wochenbett (also die ersten Wochen nach der Geburt) macht, darf meiner Meinung nach die Theorie von D. Winnicott nicht fehlen. Winicott war ein englischer Kinderarzt und Psychoanalytiker, dh. er hatte sowohl einen medizinischen, als auch einen psychologischen Blick auf die ersten Wochen nach der Geburt.
Nach der Geburt geht es medizinisch bzw. körperlich gesehen darum, dass sich die Mutter von der Geburt erholt und regenerieren kann. Man sollte sich bewusst werden, dass -neben all der körperlichen Anstrengung unter der Geburt- die Ablösung der Plazenta eine innere Wunde hinterlässt, welche Zeit braucht um in Ruhe abzuheilen. Es heißt nicht umsonst “WochenBETT”. Darunter ist tatsächlich gemeint, dass sich die Mutter ausruhen und viel liegen soll (da dies eine gute innere Abheilung und Rückbildung der Gebärmutter begünstigt).
Abgesehen von der körperlichen Genesung und Erholung nach der Geburt müssen viele psychische Faktoren erst einmal in Ruhe verarbeitet werden. Zum einen, dass die Schwangerschaft nun vorbei ist und das Baby erstmals körperlich getrennt von einem wahrgenommen wird. Zum anderen müssen all die Emotionen Raum finden, die das Erlebnis der Geburt und die vielen neuen Eindrücke mit dem Baby mit sich bringen.
Die Zweisamkeit ist (beim 1.Kind) nun vorläufig vorbei. Man muss sich erst einmal in Ruhe kennenlernen und als Familie neu finden. Diese ersten Stunden, ersten Tage des Kennenlernens werden nie wieder zurück kommen und schneller vorbei sein, als man zunächst vielleicht meint.
Winnicott hat diese große Bedeutung der ersten Tage und Wochen mit dem Baby erkannt und beschrieben wie wichtig es ist, dass die Mutter eine “primäre Mütterlichkeit” in dieser Zeit entwickeln kann. Unter der primären Mütterlichkeit verstand er den Zustand der Mutter, sich ganz auf die Bedürfnisse des Kindes einzulassen und sich mit diesen zu identifizieren. Dieser Zustand sichert zum einen, dass das hilflose und absolut abhängige Baby versorgt ist und fördert zum anderen langfristig die Bindung zwischen Mutter und Kind. Winnicott beschrieb, dass es sehr wichtig ist, äußere Anforderungen an die Mutter, wie z.B. sich um den Haushalt zu kümmern, formale Dinge erledigen zu müssen, bald nach der Geburt wieder arbeiten gehen zu müssen etc. möglichst von der Mutter fern zu halten, damit sich diese voll und ganz auf das Kind einstimmen und in den oben genannten psychischen Zustand kommen kann.

PRAXIS: Innerhalb meiner Arbeit als Beraterin (in einer Familienberatungsstelle) habe ich häufig erlebt, dass Mütter kurz nach der Geburt wieder gefordert waren Dinge zu erledigen, wie z.B. den Haushalt zu schmeißen, wieder arbeiten zu gehen usw. Natürlich – nicht jede frisch gebackene Mutter hat den “Luxus”, dass der Vater des Kindes auch tatsächlich präsent sein kann und dies auch möchte, um ihr vieles in den ersten Wochen abzunehmen und als Familie zusammen zu wachsen. Viele Frauen stehen mit dem Neugeborenen ganz alleine da und sind gezwungen kurz nach der Geburt wieder zu “funktionieren”.
Dennoch halte ich das Wochenbett für eine SO wertvolle Zeit mit dem Baby und als “neue” Familie, dass ich jedem nur raten kann, sich irgendwie Unterstützung (sei es denn, sich von den Großeltern im Haushalt unterstützen zu lassen) zu holen. Es ist so eine wundervolle Erfahrung, wenn man sich nach der Geburt vollkommen auf dieses neue kleine Wesen einstimmen kann…Einfach Zeit hat zum:…Kennenlernen, Kuscheln, Verarbeiten der Geburt und zum Zusammenwachsen als Familie.
In den ersten Tage nach der Geburt können die Hormone Achterbahn fahren…dies ist vorab von einem selbst nicht planbar…es überkommt einen einfach, dass man weinen oder lachen muss..oder alles gleichzeitig. Die Zeit ist geprägt von Erschöpfung, Schlafmangel, Ängsten, überwältigender Freude, Staunen, Erleichterung…und vielem mehr.
Da das Wochenbett einerseits körperlich und andererseits psychisch /seelisch eine so einmalige, intensive und (für mich jedenfalls) unglaublich schöne Zeit ist, plädiere ich wirklich dafür sich vorab mit dem Partner gut zu überlegen, ob, wann und wen man in den ersten Tagen nach der Geburt zu Besuch haben möchte.
Wir persönlich haben uns bereits vor der Geburt dafür entschieden, dass die ersten Tage und Wochen nach der Geburt voll und ganz uns als “neue” Familie gehören sollen und wir diese Zeit mit allem, was sie bringt ganz bewusst erleben möchten, ohne Besuch zu bekommen.
Es war gut dies auch vorab der Familie, Freunden und Bekannten zu kommunizieren, damit sich diese möglichst nicht zurückgewiesen fühlen und sich darauf einstellen können. Das war, im Nachhinein betrachtet, eine gute Entscheidung. Nach der Geburt wurden wir nicht von Besuch “überrannt”, überrascht oder mussten uns sonst irgendwie damit auseinandersetzen. Alle in unserem Umfeld wussten, dass wir uns schon melden würden, wenn wir bereit sind unser Baby anderen vorzustellen.
Man sollte sich auch klarmachen, dass das Baby von anderen auch nach 3 Wochen noch als “winzig” und “süß” empfunden wird. Doch für einen selbst -jedenfalls für mich- machen die ersten 3 Wochen die Welt aus!
Für das Baby steht nach der Geburt erst einmal genug an, was die Verarbeitung von neuen Eindrücken (Gerüchen, visuellen und akustischen Reizen etc.) angeht. Und das Wichtigste ist doch erst einmal, dass sich das Baby seine Mama und seinen Papa gut einprägen kann, sie kennenlernt und sich bei ihnen geborgen fühlt. Zu viele Reize in den ersten Tagen und Wochen können das Baby leicht überfordern, was letztendlich auch einen selbst als Eltern stresst (z.B. wenn man die Unruhe des Babys wahrnimmt und gleichzeitig dem Besuch gerecht werden muss).
Stress der Mutter kann die Milchbildung zudem reduzieren, weshalb in der Zeit des Wochenbetts umso mehr darauf geachtet werden sollte, dass sich die Mutter entspannen kann und auch das Stillen an sich in ruhiger Atmosphäre stattfindet (viele Mütter stresst es bei ihrem ersten Kind sehr, wenn sie kurz nach der Geburt das Baby vor anderen -z.B. dem Besuch- stillen müssen und sie sich dessen selbst noch gar nicht sicher fühlen). Auch dafür ist das Wochenbett da: dass sich das Stillen (wenn es denn gewünscht ist) zwischen dem Baby und der Mutter in Ruhe einspielen kann und es von beiden Seiten aus als etwas Schönes erlebt wird.

Was auch immer ihr mit eurem Partner entscheidet – wie (und mit wem) das Wochenbett gestaltet wird: Ich wünsche euch allen, dass euch diese Zeit näher zu eurem Baby bringt und
ihr diese einmalige Zeit in vollen Zügen als Familie genießen könnt!